C Rep. 100-01

Volksvertretung Groß-Berlin/Stadtverordnetenversammlung

Nach der administrativen Spaltung der Stadt 1948 wirkte im Ostteil Berlins keine aus freien Wahlen hervorgegangene Volksvertretung.
Der Magistrat erließ erst am 19. Januar 1953 eine "Verordnung über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der Organe der Staatsmacht von Groß-Berlin", auf deren Grundlage eine "Volksvertretung Groß-Berlin" und Volksvertretungen in den Stadtbezirken gebildet wurden. Wahlen fanden nicht statt, da nach Auffassung des Magistrats eine Wahl nur in einem Teil der Stadt die Spaltung Berlins vertiefen würde.
Am 13. Februar 1953 fand die konstituierende Sitzung der "Volksvertretung Groß-Berlin" an historischer Stätte im Neuen Stadthaus statt. Sie hatte 130 Mitglieder, die von Parteien und Massenorganisationen vorgeschlagen und vom Berliner Ausschuss der Nationalen Front bestätigt worden waren. Die Volksvertretung Groß-Berlin war das höchste Organ der Staatsmacht. Sie erließ Verordnungen und sicherte die Durchführung zentraler Gesetze und Verordnungen. Sie bestätigte den Volkswirtschafts- und den Haushaltsplan der Stadt. Die Volksvertretung Groß-Berlin wählte den Magistrat, der ihr gegenüber rechenschaftspflichtig war.
Sie richtete Ständige Kommissionen für verschiedene kommunale Bereiche ein, in denen ihre Mitglieder zwischen den Sitzungen tätig waren. Die Ständigen Kommissionen hatten das Recht, der Volksvertretung, dem Magistrat und den Räten der Stadtbezirke Vorschläge einzureichen sowie Untersuchungen in der Verwaltung, in Betrieben und in Institutionen durchzuführen. Über so genannte Aktivs bezogen die Ständigen Kommissionen nicht gewählte Bürger in ihre Arbeit ein.
Die Volksvertreter wirkten nicht hauptamtlich, sondern waren berufstätig; sie erhielten keine Sitzungsgelder oder andere Diäten. Ihre öffentlichen Bürgersprechstunden fanden in Aufklärungslokalen der Nationalen Front statt. Volksvertreter konnten bei Vernachlässigung ihrer Pflichten abberufen werden.
Als sich Berlin (Ost) 1954 erstmals an den Wahlen zur Volkskammer der DDR am 17. Oktober 1954 beteiligte - 1950 hatte Berlin aus Rücksicht auf die besondere Situation in der geteilten Stadt nicht an den Wahlen teilgenommen -, wurde die Gelegenheit genutzt, nun doch Wahlen zu den Volksvertretungen in der Stadt durchzuführen. Der Magistrat verordnete die Wahl der Volksvertretung auf die Dauer von vier Jahren und erhöhte die Zahl der Volksvertreter auf 180. Der Demokratische Block Groß-Berlin beschloss eine gemeinsame Kandidatenliste (Einheitsliste) mit Einzelpersonen. Die Kandidaten hatten sich öffentlich vorzustellen. Im Ergebnis dieser und sämtlicher weiterer Wahlen wurde den Wahlvorschlägen der Nationalen Front gefolgt. Nach der Wahl konstituierte sich die "Volksvertretung Groß-Berlin" am 15. November 1954 im Neuen Stadthaus. Diese Volksvertretung wählte auch die 66 Vertreter Berlins in der Volkskammer der DDR.
Nachdem am 17. Januar 1957 die Volkskammer der DDR das "Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht" und das "Gesetz über die Rechte und Pflichten der Volkskammer gegenüber den örtlichen Volksvertretungen" verabschiedet hatte, wurden beide Gesetze von der Volksvertretung Groß-Berlin am 28. Januar 1957 für Berlin übernommen. Jetzt erfolgte die Anleitung und Aufsicht auch der Berliner örtlichen Volksvertretungen direkt durch die Volkskammer der DDR und nicht mehr durch den Magistrat bzw. den Sekretär oder die Org.-Instrukteur-Abteilung. Der Magistrat konnte die Beschlüsse der örtlichen Volksvertretungen nicht mehr aufheben, sondern nur noch bis zur Entscheidung durch die Volksvertretung Groß-Berlin aussetzen. Die örtlichen Volksvertretungen hingegen erhielten das Recht, gegen Beschlüsse des Magistrats Einspruch zu erheben. Die Position und die Rolle der Stadtverordneten wuchsen beträchtlich, da ihnen für die Ausübung ihrer Tätigkeit Rechtsschutz gewährt wurde. Zudem erhielten sie das Recht der Bestätigung der vom Magistrat berufenen Leiter der Magistratsabteilungen, was zuvor allein dem Oberbürgermeister zustand. In Rahmen dieser Veränderungen übernahm die Volksvertretung Groß-Berlin wieder den traditionellen Namen "Stadtverordnetenversammlung".
Die nächsten Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung fanden am 16. November 1958 und am 20. Oktober 1963 statt.
Bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung am 2. Juli 1967 wurde ein modifiziertes Wahlsystem angewendet: Die Wahlkreise wurden verkleinert. Zudem konnten doppelt so viel Kandidaten vorgeschlagen werden, wie dann Mitglieder zur Stadtverordnetenversammlung zu wählen waren. Wählervertretungen konnten über die Reihenfolge der Kandidaten auf den Stimmzetteln entscheiden.
Nach den Wahlen am 14. November 1971 erfolgte 1974 eine Verlängerung der Wahlperiode auf fünf Jahre, so dass erst am 17. Oktober 1976 wieder Wahlen stattfanden.
Durch eine Wahlrechtsänderung vom 28. Juni 1979 konnten bei den Wahlen am 14. Juni 1981 die Berliner Kandidaten für die Volkskammer erstmals direkt gewählt werden.
Bei den Wahlen am 8. Juni 1986 wurden neben den Stadt- und anderen Bezirksverordneten erstmals Bezirksverordnetenversammlungen für die Bezirke Hohenschönhausen und Hellersdorf gewählt.
Am 15. Januar 1990 wurde mit Laurenz Demps erstmals wieder ein Stadtverordnetenvorsteher gewählt.
Die Kommunalwahlen am 6. Mai 1990 trugen erstmals den Charakter freier Wahlen und wichen vom System der Einheitslisten ab. Sie führten zu einer Stadtverordnetenversammlung, deren Abgeordnete als demokratisch legitimierte Volksvertreter die Wiedervereinigung der Stadt gemeinsam mit dem Abgeordnetenhaus von Berlin (West) vorbereiten konnten. Mit dieser Wahl erfolgte auch eine Verkleinerung des Parlaments von 225 auf 138 Abgeordnete. Am 28. Mai konstituierte sich die neue Stadtverordnetenversammlung; zur Vorsteherin wurde Christine Bergmann gewählt. Am 11. Juli verabschiedete die Stadtverordnetenversammlung eine Verfassung für Ost-Berlin, die als Übergangsverfassung bis zu Gesamtberliner Wahlen gedacht war. Diese Wahlen zum Abgeordnetenhaus fanden am 2. Dezember 1990 statt. Das neue Abgeordnetenhaus bestand aus 241 Mitgliedern und konstituierte sich am 11. Januar 1991 in der Nikolaikirche. Damit endete die letzte Wahlperiode der Berliner Stadtverordnetenversammlung.

Enthält:
Tagungen 1953-1990 (Einladungen, Tagesordnungen, Stenographische Protokolle, Vorlagen, Beschlüsse, Anwesenheitslisten, Mandatsveränderungen, Beiräte, Berichte, Wahlen).- Ausschüsse 1990.- Drucksachen 1990.- Tonbandmitschnitte 1959-1971.

Erschlossen: 266 [AE] 9.30 [lfm] sonstige Angaben: Tonbänder

Laufzeit:
1953 - 1990

Benutzung:
Findbuch

Verweise:

-> LAB C Rep. 060-13 Nationale Front, Bezirksausschuss Berlin
-> LAB F Rep. 500 Tonträger

Literatur:
-> Finkelnburg, Klaus: Berlins vergessene Verfassung. Zur Erinnerung an die von der Stadtverordnetenversammlung am 11. Juli 1990 beschlossene und am 11. Januar 1991 außer Kraft getretene "Verfassung von Berlin". In: Berlin in Geschichte und Gegenwart, Jahrbuch des Landesarchivs Berlin 2003, S. 171-202.
-> Liening, Rudi: Aus der Tätigkeit der Berliner Stadtverordnetenversammlung in den Jahren 1854-1967. In: Beiträge, Dokumente, Informationen des Archivs der Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1968 (= Schriftenreihe des Stadtarchivs Berlin, 5. Jg. 1968, Heft 1).

Informationen zur Bestandsgruppe:
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